Weiblicher Orgasmus: Zwischen Mythos und Muskelzucken

Für viele Frauen ist der Orgasmus eine Quelle intensiver Lust, für andere ein Mysterium. Und obwohl er so viel Freude bringen kann, bringt er oftmals auch eines mit: nämlich viel Druck!

Denn: Der weibliche Orgasmus ist wunderbar, aber ebenso individuell.

Manche erleben ihn regelmässig, andere nie. Manche kommen nur allein, nicht mit Partner*in.

Einige Frauen benötigen äussere Stimulation, andere suchen sehnsüchtig nach dem sagenumwobenen «vaginalen Orgasmus».

Dabei ist eines klar: Es gibt viele Wege zum Ziel – aber keine Norm!

Zuerst das Wichtigste: Eine Frau muss keinen Orgasmus haben. Niemand schuldet dem Sex – oder dem Gegenüber – einen Höhepunkt. Lust kann auch ohne Gipfel grossartig sein. Und wenn man keinen Orgasmus hat und es für sich in Ordnung ist: perfekt.

Mein Tipp an die Frauen: Aber falls du einen erleben möchtest – oder neugierig bist, wie dein Körper Lust noch anders empfinden könnte – dann gibt es gute Nachrichten: Orgasmusfähigkeit ist lernbar. Und Wissen ist dein bester Verbündeter.

Gibt es ihn? Wahrscheinlich nicht so, wie viele ihn sich vorstellen.

Denn: Die Vagina ist kein eigenständiges Lustorgan.

Die Klitoris ist nicht nur der kleine sichtbare äussere Punkt. Sie ist ein verästeltes Lustorgan mit rund neun bis zwölf Zentimetern Länge. Mit Schwellkörpern, welche die Vagina, also den inneren Teil, umgeben.

Das heisst: Bei vaginaler Stimulation wird oft unbewusst die Klitoris mit einbezogen. Deshalb ist eine klare Trennung zwischen «vaginal» und «klitoral» meist gar nicht möglich.

Beim Klitoralen Orgasmus überwiegt die Stimulation des äusseren Teils (Vulva) der Klitoris.

Und dann gibt es noch eine weitere Möglichkeit: Nämlich Orgasmen durch Stimulation des Gebärmutterhalses.

Neurowissenschaftler wie Barry Komisaruk haben mithilfe bildgebender Verfahren gezeigt, dass die Art der Stimulation auch den Weg der Reizweiterleitung beeinflusst.

Während klitorale Reize über das Rückenmark zum Gehirn gelangen, werden Reize vom Gebärmutterhals über den Vagusnerv direkt ins Gehirn geleitet.

Interessant dabei: Frauen mit Rückenmarksverletzung haben über diesen Weg eine Möglichkeit, dennoch einen Orgasmus zu erleben.

Der entscheidende Punkt ist: Wo ist dein Körper daran gewöhnt, Lust zu empfinden?

Selbstbefriedigung ist kein Ersatz für «richtigen» Sex, sondern eine Entdeckungsreise. Wo berührst du dich? Nur die Klitoriseichel? Einen grösseren Teil deiner Vulva? Beziehst du deine Vagina mit ein? Wie atmest du dabei: flach, gehalten oder tief und frei?

Unser Gehirn ist lernfähig. Auch im Lustempfinden. Wenn sich die Frau beim Solosex immer nur auf die äussere Stimulation konzentriert, ist es kein Wunder, wenn der Körper bei vaginaler Stimulation «nicht reagiert».

Das heisst aber nicht, dass man etwas falsch macht. Sondern nur, dass der Körper auf anderes besser trainiert ist.

Also: Wenn die Frau auch bei vaginaler Stimulation Lust oder gar einen Orgasmus erleben will, dann sollte man beginnen, die Vagina bewusst in das Erleben einzubeziehen.

Mit Druck, Reibung, Bewegung. Und vor allem mit Geduld. Veränderung braucht Zeit und Wiederholung.

Vulva und Vagina lieben unterschiedliches: Erstere steht auf Reibung, letztere eher auf Druck und Dehnung.

Beide mögen Bewegung. Wer sich beim Sex oder bei der Selbstbefriedigung bewegt, steigert die Chance auf einen Orgasmus. Und: Eine bewusste, tiefe Atmung kann helfen, die Erregung zu vertiefen.

Wie genau mehrere Orgasmen in kurzer Folge entstehen, ist wissenschaftlich noch nicht umfassend geklärt. Studien dazu fehlen grösstenteils.

Wichtig ist: Man «braucht» keinen zweiten Orgasmus, wenn der erste erfüllt hat. Und man kann lernen, den einen, den man hat, intensiver zu erleben.

Mein Fazit: Übung macht Lust. Weniger Druck, mehr Neugier. Wichtig ist, Bewegungen zulassen und die Atmung bewusst wahrnehmen. Das sind die Schlüssel für mehr Empfindung.

Der weibliche Orgasmus ist kein Ziel, das erreicht werden muss, sondern ein Weg, der entdeckt werden darf. Mit Freude, mit Feingefühl und vor allem: in deinem eigenen Tempo.

Ob man laut lacht, tief atmet, heftig zuckt oder still geniesst: Der Orgasmus gehört dir allein. Und das ist vielleicht das Schönste daran.

Zur Person: Die Bernerin Sandra Torokoff ist Beraterin rund um das Thema Sexualität, hat zwei Kinder und ist verheiratet.